Case Study: Mietzinsrechner für den Mieterinnen- und Mieterverband

digital/organizing hat für den Mieterinnen- & Mieterverband einen Mietzinsrechner entwickelt. Mit dem Rechner können Mieter:innen auch ohne juristische Kenntnisse überprüfen, ob die Erhöhung ihres Mietzinses gerechtfertigt ist. Der Rechner bietet ausserdem Hilfestellung, falls ein Einspruch lohnenswert ist.

  • Wir haben mit dem Mieterverband mit Hinblick auf die Erhöhung des Referenzzinssatzes 2023 einen nutzer:innenfreundlichen Mietzinsrechner entwickelt.

  • Der Mieterverband war mit dem Mietzinsrechner bestens auf den Ansturm an Anfragen gerüstet und konnte in der ersten Woche bereits knapp 30’000 Anfragen automatisiert beantworten.

  • Die Informationen über die Mietzinserhöhungen konnte der Mieterverband medial mehrfach verwerten und erhielt die Möglichkeit, sich in zahlreichen Berichten als Organisation positionieren und die eigenen Positionen zum Thema Mieten verbreiten.

  • Der Mieterinnen- & Mieterverband konnte mehrere tausend neue Adressen generieren, die anschliessend mit einem Aufruf zur Mitgliedschaft bedient werden konnten.

 
Did you vote_ (1).jpg
 

Die Ausgangslage

Im Jahr 2023 ist der schweizweite Referenzzinssatz für Mieten erstmals seit seiner Einführung 2008 angestiegen. Bereits im Vorfeld wurde erwartet, dass diese Trendwende für steigende Mieten sorgen wird. Damit drohte die Belastung der Haushalte - zusammen mit steigenden Energiekosten, Krankenkassenprämien und Inflation - nochmals deutlich zuzunehmen.

Erwartungsgemäss nutzten viele Vermieterinnen und Vermieter die Gelegenheit für eine Erhöhung - und verlangten oft mehr, als gesetzlich erlaubt ist. Der Mieterverband rechnete bereits vorab dmit, dass der Ansturm nicht mit den bestehenden Ressourcen im Budget bewältigt werden kann. Deshalb suchte der Mieterinnen- und Mieterverband Deutschweiz (MVD) eine Lösung, mit der er Mieter:innen darin unterstützen können, sich selbst zu wehren.

Um den MVD zu entlasten und den Nutzer:innen zu helfen, musste diese Lösung

  • trotz des komplexen Themas auch für Nutzer:innen ohne Mietrechtswissen nutzbar sein.

  • weitgehend automatisiert eine Beurteilung der Mietzinserhöhung vornehmen und einen Handlungsvorschlag inkl. Unterstützung bei einer allfälligen Anfechtung der Erhöhung bieten.

  • die unterschiedlichen Beratungsstrategien und Herangehensweisen der 13 Sektionen  des MVD und die unterschiedliche Praxis von mehreren Dutzend Schlichtungsstellen in der ganzen Deutschschweiz  berücksichtigen. 

  • weitgehend mit Ressourcen ausserhalb des Verbandes entwickelt, aber trotzdem in die IT-Umgebung des MVD integriert werden. 

  • und nicht zuletzt - da im November 2022 davon ausgegangen werden musste, dass die Erhöhung des Referenzzinssatzen bereits am 1. März 2023 beschlossen würde - bereits knapp drei Monate nach dem Erstgespräch einsatzbereit sein.

Herangehensweise

Zu Beginn wurden auf Basis von Expert:innen-Gesprächen die Erwartungen an des Produkt aus dem Blick der Anwender:innen wie auch der Sektionen des Mieterverbands erstellt. Diese ermöglichten ein Vorgehen festzulegen, in dem der enge Zeitplan eingehalten und eine klare und verbindliche Budgetobergrenze festgelegt werden konnte. Dafür war eine Projektorganisation wichtig, bei der die Arbeit weitgehend an digital/organizing ausgelagert und nur über klar festgelegte Kanäle Inputs und Entscheide des MVD abgeholt werden konnten. 

Umsetzung

Die Umsetzung fand in drei Phasen statt: 

  1. In einer ersten Phase ging es darum, inhaltlich zu plausibilisieren, ob ein komplexer Prozess, wie die Überprüfung der Korrektheit von Mietzinserhöhungen - mit vielen wechselnden Rahmenbedingungen - überhaupt sinnvoll automatisiert werden kann.  

  2. Im Anschluss wurde die Übersetzung des Prozesses in einen klickbaren Prototyp überführt, mit dem die Expert:innen des MVD und die Sektionen den Prozess beurteilen konnten und den Rechner so mit realen Fällen auf seine Praxistauglichkeit prüfen. 

  3. Zuletzt wurde die Lösung technisch und grafisch umgesetzt sowie die UX verfeinert. Parallel wurde sichergestellt, dass alle technischen Schnittstellen zur IT-Infrastruktur des Mieterverbandes funktionierten.

Lösung

Der Mietzinsrechner läuft in einer eigenen Umgebung auf mzr.mieterverband.ch. In wenigen Schritten kann ein:e Lai:in über den Mietzinsrechner eine Mietzinserhöhung überprüfen. Dabei wurde viel Wert auf möglichst einfache User:innenführung gelegt. Wo nötig können Nutzer:innen Beispielsdokumente ansehen oder erhalten Erklärungen.

Der Rechner macht auf Grund der Postleitzahl eine Zuordnung zur richtigen Sektion des Mieterinnen- und Mieterverbandes und zur Schlichtungsstelle, die für eine Anfechtung zuständig ist. Dadurch können sowohl die unterschiedlichen Beratungsstrategien der Sektionen - beispielsweise, wie offensiv sie zur Anfechtung raten - wie auch die gängige Praxis der Schlichtungsstelle berücksichtigt werden. Aufgrund der Rahmenbedingungen und der Erhöhung macht der Mietzinsrechner eine Aussage über die Mietzinserhöhung und gibt - je nach Beratungsstrategie - eine direkte Empfehlung zur Anfechtung oder eine neutrale Darstellung der Mietzinserhöhung ab.  

Im letzten Schritt werden für die Nutzer:innen personalisierte Anfechtungsschreiben, die allen formalen Voraussetzungen für Einschreiben entsprechen, sowie eine  «Bedienungsanleitung» für die nächsten Schritte als PDF zugeschickt. Mit Übergabe der Dokumente an die Nutzer:in geht der Prozess von der externen Plattform in die IT-Infrastruktur des MVD über und es beginnt eine User-Journey, die die Mieter:innen bei der Einsprache begleitet und nicht zuletzte auch die Vorteile einer Mitgliedschaft im Mieterinnen- und Mieterverband thematisiert.